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Aus "Axel Hacke - Das Beste aus meinem Leben"

Unsere Küche hatten wir vom Vormieter übernommen, das ist zehn Jahre her, und sie war damals schon zehn Jahre alt. Vor Wochen legte ich nun ein Besteck in die oberste von vier Schubladen. Der Boden der Schublade brach in diesem Moment durch, aller Inhalt lag in der Schublade darunter. Ich befestigte den Boden mit Schrauben neu. Am nächsten Tag brach der Boden der dritten Schublade zur vierten durch, in der die Töpfe stehen. Ich brachte auch dies in Ordnung, aber bald sackte der Boden der zweiten zur dritten Lade durch. Nachdem ich auch dies repariert hatte, krachten alle drei oberen Schubladen in die vierte hinunter. Ich hämmerte vor Wut mit den Fäusten auf die Arbeitsplatte. Daraufhin löste sich die Frontseite der untersten Schublade. Der Inhalt aller vier Schubladen ergoß sich erdrutschartig aufs Parkett.

»Wir brauchen eine neue Küche«, sagte Paola.

Ich ächzte. Aus der Ecke, in der Bosch steht, mein sehr alter Kühlschrank und Freund, kam ein Rumoren.

»Es hilft nichts«, sagte Paola. »Du siehst es doch.«

Wer je eine Küche gekauft hat, weiß, warum ich ächzte. Wir verabschiedeten uns in den folgenden Monaten vom Leben. Es gab nur noch zwei Dinge: Wir studierten erstens Küchenprospekte, besuchten Küchenstudios, empfingen Küchenverkäufer, absolvierten im Grunde ein Kurzstudium der Innenarchitektur mit Spezialrichtung »Küche«: So viele Arbeitsplatten, Oberflächen. Wasserhähne. Spülbecken, Herde gibt es. man glaubt es nicht. Im Rest der Zeit arbeiteten wir wie besessen, um die neue Küche bezahlen zu können: So teuer sind Küchen, man glaubt es nicht. In der Zeit, in der Paola schlief, musste ich nachts den Bosch beruhigen: Nein. du wirst nicht verkauft, du wirst nicht entsorgt, wir werden keinen neuen Designer-Kühlschrank kaufen. Nein.

»Ich glaube kein Wortt«, stöhnte Bosch. Dann stieß er wie ein ZeugeJehovas hervor: »Das Ende ist nah.«

Eines Tages hatten wir die neue Küche bestellt. Davon später mal mehr. Hier Folgendes: Paola inserierte die alte Küche in der Zeitung: Wer sie abbaue und wegtransportiere, könne sie mit allen Geräten umsonst haben. Dann fuhren Paola und Luis einige Tage aufs Land. Ich blieb.

Am nächsten Morgen klingelte das Telefon um halb sechs. »Die Küche!«, schrie eine Frau. »Bin ich Erste?«

»Uhhhwaaas...«, murmelte ich.

»Bin ich Erste?! Die Erste?!« Eine schrille Stimme.

»Wie spät?«, grummelte ich.

»Ja, ich bin Erste, oder?«

»Rufen Sie später an!« Ich legte auf. Es klingelte wieder.

»Aber ich war Erste!«, schrie die Frau. Ich legte auf. Versuchte zu schlafen. Aber das Telefon klingelte. Ich ging Joggen. Als ich zurückkam, klingelte es immer noch. Wieder die Frau. »Wann kann ich ansehen Küche?«, rief sie. Ein osteuropäischer Akzent. »Ich war Erste!«

»Kommen Sie heute Abend?«, sagte ich. Sie kam mit ihrem Mann: eine kleine, dicke Frau mit einem Riesen von Kerl, so um die fünfzig. Das Ehepaar Dolinar aus Slowenien, sehr höfliche Leute. Sie lebten seit zwanzig Jahren hier. »Ah. ist viel zu groß für uns!«, schrie Frau Dolinar sofort. Sie schrie anscheinend immer.

»Nein, ist gut«, sagte Herr Dolinar ruhig. »Nehmen wir.«

Ich hatte meine Hand auf dem Kühlschrank liegen und bemerkte, dass er unruhig rumpelte. »Sie können alles außer dem Kühlschrank haben«, sagte ich.

»Viel zu groß!«, schrie die Frau. »Sei still!«, sagte ihr Mann. »Ich mache passend.«

Am nächsten Tag kam Dolinar mit zwei Freunden. Sie bauten die Küche ab. Ich war zu müde. um zu helfen, setzte mich ins Wohnzimmer und las Zeitung. Ais ich nach einer Stunde nach dem Rechten sah, war Bosch weg.

»Wo ist der Kühlschrank?!«, schrie ich.

»Lastwagen«, sagte Dolinar.

»Aber der Kühlschrank nicht! Alles außer dem Kühlschrank, habe ich gesagt! Kühlschrank nicht!«

»Aber ist alt! Bald kaputt.« »Nein! Sie müssen ihn wieder raufbringen! Sofort!« Ich schob Dolinar zur Tür. Seine Helfer sahen mich erstaunt an. »Sofort!«, schrie ich. Verwirrt stolperten sie ins Treppenhaus. Minuten später stand Bosch wieder in der Ecke.

Das ist eine Woche her. Die neue Küche ist noch nicht geliefert, wir befinden uns in einer leeren Küche: Bosch und ich. Immer wieder sage ich: »Es war ein Versehen, Alter! Glaub mir, ich habe nicht aufgepasst. aber ich hatte es ihnen gesagt, sie haben es nicht verstanden, verstehst du. es waren Slowenen, ihr Deutsch war nicht gut, sonst wäre das nicht passiert...« Meine Worte hallen von den Wänden des leeren Raumes, Bosch schweigt. Ob er je wieder mit mir spricht? Ob er mir verzeiht?


Die Kolumne " Das Beste aus meinem Leben" von Axel Hacke erschien wöchentlich im Magazin der Süddeutschen Zeitung.
Nach eigener Aussage konnte auch ein weiteres Kind in der Familie den Stoff für neue Erzählungen nicht nachhaltig genug fördern, so dass die neue Kolumne seit einiger Zeit schon "Das Beste aus aller Welt" heißt.

# Zurück zum Kühlschrank
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