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Hier gibt es ein paar Erinnerungstexte zu Märklin aus der Süddeutschen Zeitung anläßlich der Insolvenz.

Vom Karton zum Computer

Es ist ein alter, brauner Pappkarton, den mein Vater gehütet hat wie einen Schatz. Wir Kinder konnten es gar nicht abwarten, bis er einmal im Jahr die bunten Schachteln mit dem Schriftzug Märklin hervorholte. Fein säuberlich gestapelte Metallschienen mit Gleisbett in vielen Größen. Hochempfindliche elektrische Weichen, die man an ein kleines blaues Schaltpult anschließen musste. Silberne, blaue, rote und grüne Personenwagen, die wir von Reisen kannten, als es noch eine pünktliche Bundesbahn ohne Mehdorn gab. Höhepunkt waren die Dampfloks. Doch dieser braune Karton, der schönste Pappkarton meiner Kindheit, steht mittlerweile auf meinem Dachboden und wird nicht mal mehr einmal im Jahr geöffnet: Für eine Anlage ist zu wenig Platz im Haus. Die Kinder habe ich mit einer Playmobil-Bahn auf dem Wohnzimmerteppich vertröstet. Und mittlerweile ist ihnen eine virtuelle Fahrt mit dem Zugsimulator am Computer sowieso lieber - je nach Laune durch die Schweizer Alpen oder die Cascades von Seattle nach Vancouver.

Dieter Sürig


Verbotene Kammer

Unter dem Dach unseres Hauses gab es eine verbotene Kammer. Verboten war sie vor allem für die kleine Schwester, die gern alles anfasste und kaputtmachte. Bis spät in die Nacht fiel schummriges Licht durch den Schlitz unter der Tür, und drückte man das Ohr an die Tür, konnte man seltsame Geräusche vernehmen. Wochenlang war ein Kratzen und Rühren und Fluchen zu hören - und irgendwann außerdem ein gleichbleibendes, leises Summen. Es war das Eisenbahnzimmer des älteren Bruders, der mit Pappmaché und Filz, Häuschen, Bäumchen und Plastikfiguren ein kleines Abenteuerland bastelte. Drehte man an einem Knopf, zuckelte eine Eisenbahn über gerade entstehende Berge und Täler. Es dauerte Wochen, bis ich ihn überredet hatte, auch einmal den Knopf drehen zu dürfen. Doch irgendwann war es vorbei. Die Elektrik versagte, unsere Bahnhöfe wurden abgewickelt. Das Eisenbahnzimmer ist heute wieder verboten. Für Besuch. Es ist die Rumpelkammer für ausgeträumte Kinderphantasien.

Katja Riedel


Lieber Individualverkehr

Unsere Eltern schenkten uns zwar irgendwann einen Märklin-Kasten, aber wir zwei Brüder waren da längst eingefleischte Individualverkehrsteilnehmer: Gegen die Carrera-Bahn hatte Märklin bei uns nie eine Chance. Schließlich konnte man mit den chicen Wagen Wettrennen gegeneinander fahren, hatte mit dem kleinen roten Temporegler das Gefühl, selber am Drücker zu sein und konnte die kleinen wendigen Autos nach Lust und Laune aus der Kurve jagen, während die prügellangen Lokomotiven dank eines DDR-plumpen Trafokastens, also quasi auf Autopilot, durch langweilig bundesdeutsche Landschaftsidyllen ratterten. Die Ironie an der Geschichte? Ich halte den Individualverkehr heute für den Weltuntergangsbeschleuniger Nummer eins, habe mir geschworen, nie ein Auto zu besitzen, und fahre selbst an die abgelegensten Orte mit der guten alten Eisenbahn.

Alex Rühle

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.30, Freitag, den 06. Februar 2009 , Seite 21

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