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Pringels Urne

(SZ) Noch vor wenigen Jahren schienen Kreativität und Innovationsfreudigkeit im Bestattungswesen am toten Punkt angelangt zu sein. Sarg oder Urne hieß es da, für nautisch Interessierte gab es noch die Seebestattung, und das war"s dann auch - alles in allem ein trostloses Angebot, das anspruchsvollen Menschen den Gedanken an den Tod verleiden konnte. Dann aber ging ein Ruck durch die Branche, und seitdem werden auch Kunden mit extravaganten Wünschen so gut bedient, dass Reklamationen praktisch nicht mehr vorkommen. Man kann seine Asche ins All schießen oder sie zu einem Diamanten verarbeiten lassen, und für die Freunde des österreichischen Fußballs ist vielleicht von Interesse, dass in der Friedhofs-Metropole Wien neuerdings die Beerdigung in einer fußballförmigen Urne angeboten wird. Egal, was uns sonst bei der Europameisterschaft alles erwartet - Austrias Bestattungsbranche hat ihre Hausaufgaben gemacht.
Während die Fußball-Urne im Prinzip jedem Rumpelfüßler offensteht, ist der Behälter, in dem gerade Fredric Baur beerdigt wurde, so eng mit dessen Lebenswerk verbunden, dass sich Nachahmung von selbst verbietet. Baur war Verpackungstechniker, und als solcher hat er die "Pringles"-Dose erfunden, eine formvollendete Röhre, in der Kartoffelchips so ordentlich gestapelt sind, dass sich die herkömmliche Chipstüte gewaltig strecken muss, um da noch mitzuhalten. In so einer Pringles-Dose ruht jetzt Baurs Asche, und man fragt sich, warum nicht schon frühere Erfinder ihr Lebenswerk auf diese schöne Art abgerundet haben. Earl Silas Tupper zum Beispiel: Gewiss, ihm sind die vorzüglichsten Plastikbehälter und die vergnüglichsten Hausfrauenpartys zu verdanken, aber wie viel größer wäre sein Nachruhm, hätte er sich in der praktischen Kühlschrankbox A 113 begraben lassen. Aber vielleicht hat er ja, und es wurde nur totgeschwiegen. Und wer weiß schon, ob nicht im Inneren einer Litfaß-Säule die sterbliche Hülle ihres Erfinders liegt oder in einer Keksschachtel der große Gelehrte Leibniz?
In der Unterwelt dürften die neuen Bestattungsgebräuche mit Wohlwollen aufgenommen werden. Dort bringt der Fährmann Charon die Verstorbenen mit seinem Boot ins Schattenreich, und er tut sich natürlich leichter, wenn seine Fracht nur aus Fußbällen, Plastik-Behältern und Pringles-Dosen besteht. Was allerdings künftige bildliche Darstellungen des Jüngsten Gerichts betrifft, ist Skepsis angebracht. Schon die bisher üblichen Teufel und Monster sind dem Auge unangenehm, da möchte man nicht noch mit Keksschachteln und Litfaß-Säulen konfrontiert werden. Aber damit sollen sich die Künstler herumschlagen. Uns Büromenschen aber treibt die Sorge um, dass wir nichts geschaffen haben, worin man uns begraben könnte. In die Zeitung steckt man nur Fische.

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.129, Donnerstag, den 05. Juni 2008 , Seite 1

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