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Alles gleitet, alles rollt

Hudora hat sich von einem Spezialisten für Schlittschuhe zu einem breit sortierten Anbieter von Sport- und Freizeitartikeln gewandelt

Abgegriffenes Papier, blasse Schwarz-Weiß-Fotos: Der kleine Prospekt ist sicher mehr als 50 Jahre alt. Wer damals damit liebäugelte, sich ein paar Schlittschuhe zu kaufen, konnte hier lesen, was ihn erwartet: "Reinigend und stärkend durchflutet die klare, reine Winterluft die Lungen und zaubert ein blühendes Rot auf die Wangen." Und weiter: "Die Muskeln dehnen und recken sich beim huschenden Laufe auf blitzender Eisfläche, erfrischtes Blut und das Hochgefühl strotzender Gesundheit durchströmt den ganzen Menschen und aus den Augen leuchtet Lebensfreude". Dieses Vergnügen, so mahnt der Text, wird jedoch nur demjenigen zuteil, der "im guten Fachgeschäft ein Paar wirklich gute Schlittschuhe" erwirbt.
Hochwertiges Schuhwerk für Eissportler lieferte damals vornehmlich eine kleine Firma aus Radevormwald im Bergischen Land: Hudora, Herausgeber des Prospekts. "Auch viele Spitzensportler sind in unseren Schuhen gelaufen", sagt Geschäftsführerin Evelyn Dornseif, die das Unternehmen zusammen mit ihrem Sohn Max leitet. Selbst Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler, die als Eiskunstlaufpaar in den fünfziger und sechziger Jahren weltweit Titel abräumten, hatten Kufen aus Radevormwald unter den Füßen. Der beste Kunde aber, so weiß Evelyn Dornseif aus den Erzählungen in der Familie, war die DDR. "Deren Topläufer sind alle von Hudora ausgestattet worden."
Das ist lange her. Und hätte das Familienunternehmen nicht beizeiten sein Sortiment deutlich ergänzt und immer wieder gewandelt, gäbe es Hudora heute nicht mehr. Es begann mit dem Nächstliegenden: Wer im Winter Schlittschuhe verkauft, bietet im Sommer Rollschuhe an. Heute betrachtet sich die Firma als Spezialist "für alles, was gleitet und rollt". Laufräder gehören dazu, Skateboards und Scooter, aber auch Tischtennisschläger, Fußballtore, Trampoline und nach wie vor Schlittschuhe. "Das Lieferprogramm umfasst 5000 Artikel für Sport-und Freizeit", sagt Max Dornseif. Der 35-Jährige vertritt die vierte Generation und hatte nach Jura-Studium und Promotion zunächst eine Karriere an der Universität angestrebt. Dass daraus nichts wurde, ist auch die Schuld seiner Frau, die bereits viele Jahre bei Hudora arbeitet und zu Hause regelmäßig erzählte, was gut und was weniger gut lief in der Firma. "Da bin ich irgendwann neugierig geworden", sagt Max Dornseif, der sich bei Hudora vornehmlich um die Themen IT und Logistik kümmert.
Die eigene Produktion hat das Unternehmen, das heute in Remscheid zu Hause ist, schon in den achtziger Jahren aufgegeben. Heute lässt Hudora nahezu ausschließlich in Asien fertigen, vornehmlich in China. In Hongkong gibt es einen firmeneigenen Showroom, in dem auch die Einkäufer deutscher Handelsfirmen regelmäßig zu Besuch sind. Das Familienunternehmen, das bei Inlineskates, Laufrädern und Trampolinen Marktführer in Deutschland ist, vertreibt seine Produkte über mehrere Kanäle: den Sport- und Spielwarenhandel, Kaufhäuser, Lebensmittelhändler, Fachmärkte - und mitunter auch Discounter, dann allerdings oft unter einer Zweitmarke. Aufgrund des starken Preisdrucks bereite das Geschäft mit den Billiganbietern allerdings wenig Freude, so Max Dornseif. Die meisten Katalogartikel hält Hudora in einem modernen Hochregallager in Remscheid vor. Das bindet zwar Liquidität, hat laut Max Dornseif aber den Vorteil, dass nahezu sämtliche Produkte innerhalb von sieben Werktagen geliefert werden können.
Ein Problem für Hudora - der Firmenname ist eine Wortschöpfung des Firmengründers und ist die Kurzform von Hugo Dornseif Radevormwald - sind auch Trittbrettfahrer. Sobald ein Sportartikel stark in Mode ist, wie vor ein paar Jahren kleine klappbare Tretroller, drängen Mitbewerber in das Geschäft. "Die Trends wechseln schnell und Innovationen lassen sich nur schlecht schützen", meint Evelyn Dornseif, 59. Ihr Mann Eike, Aufsichtsrat des Unternehmens, ist den Großteil des Jahres in Asien unterwegs, um die Produktion zu kontrollieren und Kundenkontakte zu pflegen. Als vergleichsweise kleines Unternehmen ist es für Hudora mitunter schwierig, Produzenten zu finden. "Wenn wir bei einem Hersteller in China 20 000 Trampoline in Auftrag geben und es erscheint Wal Mart und erteilt eine Order über eine Million Stück, müssen wir uns erst einmal hinten anstellen", sagt Max Dornseif.
Die Geschäfte laufen dennoch gut. Der Umsatz hat sich in den vergangenen zehn Jahren verzwanzigfacht - auf 65 Millionen Euro. Und auch die Konjunkturkrise hat Hudora, deren Zielgruppe vor allem Kinder und Jugendliche sind, bisher nicht sonderlich getroffen. An Sport- und Freizeitartikeln werde nicht gespart, heißt es. Viel wichtiger für gute Geschäfte als die gesamtwirtschaftliche Verfassung sei das Wetter. "Vor allem im Frühjahr, wenn es die Menschen nach draußen zieht, beflügelt Sonnenschein die Nachfrage", meint Evelyn Dornseif. Im Winter sind Schlittschuhe nach wie vor ein kräftiger Umsatzbringer. Max Dornseif hat sogar noch etwa 500 derjenigen Exemplare auf Lager, die den guten Ruf von Hudora in den fünfziger Jahren begründeten - mit hochwertigen, aus einem Stück gefertigten Kufen. Verkaufen will er sie vorläufig nicht: "Das ist meine Altersvorsorge."

Stefan Weber

Süddeutsche Zeitung | Montag, den 28. September 2009 | Seite 18

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