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Sonnenenergie
Sie war Studentin, saß in ihrem Zimmer und malte ein kleines Bild. So erfand die Dänin Anna Lund vor 36 Jahren das Symbol der Anti-Atomkraft-Bewegung
Die Sonne ging auf an einem Frühjahrstag des Jahres 1975, in einem kleinen Zimmer in der dänischen
Stadt Aarhus. Anne Lund war damals 22, eine Studentin, und sie hatte die Idee ihres Lebens. Sie saß
mit einem anderen Atomkraftgegner, mit Sören Lisberg, am Tisch und malte diese kleine lachende Sonne
mit einem dicken, orangefarbenen Wachsmalstift. Und sie schrieb 'Nej tak'. Mehr gab es für sie nicht
zu sagen zur Atomkraft. Höflich sollte es sein und konsequent: 'Nein danke'.
So höflich und vor allem so konsequent, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Anne Lund noch immer
spricht, wenn man mit ihr über Atomkraft redet. Lunds Vergangenheit, der große Moment in dem kleinen
Zimmer, ist ja stets Gegenwart geblieben. Sie weiß das sehr genau. Wo immer auf der Welt Menschen
gegen Atomkraft protestieren, tun sie das mit der Sonne der Anne Lund. Manchmal hat das Symbol
ihnen geholfen, sich durchzusetzen, manchmal nur ihren Ärger demonstriert. Und jetzt die blanke
Angst.
Anne Lund, eine rothaarige Frau von 57 Jahren, sitzt an ihrem Schreibtisch in Aarhus und sieht die
Bilder aus Japan im Fernsehen. Etwa sechzig Millionen Mal hat sich ihre Sonne verkauft, sagt sie.
Das ist schön, sechzig Millionen mal in mehr als vierzig Sprachen. Auch in Japanisch. Das war
vergebens. Da explodiert ein Kernkraftwerk in Fukushima. Und Anne Lund, die Frau, die der Welt die
lachende Sonne brachte, ist sie starr vor Entsetzen?
Nein, sagt sie. Jetzt wird sie doch erst recht wieder gebraucht, ihre Idee, die einer Bewegung ein
Markenzeichen schenkte. 'Und wir hatten ja Erfolge, in Dänemark wurden keine Atomkraftwerke gebaut,
in Österreich nicht...' Dann hält sie kurz inne. Und spricht über das, was sie aus Japan sieht. Sie
redet über die eigentliche Tragödie: 'Die Menschen, die nach dem Beben und dem Tsunami alles verloren
haben, bekommen zu wenig Hilfe, weil ein ganzes Land sich vor allem darum kümmern muss, dass es
nicht zur Kernschmelze im Atomkraftwerk kommt.'
In Japan war es schwierig mit der lachenden Sonne, sagt Anne Lund. Vielleicht war das ja auch ein
Zeichen. Es gab die Aufkleber auch dort, aber die - sehr, sehr kleine - japanische Anti-Atomkraftbewegung
hat sich meist anderer Symbole bedient für ihren Protest. Die Sonne, sie funktioniert gut in Europa,
sagt die Frau, die sie erfunden hat. Und in Deutschland, da funktioniert sie besonders gut. Schon
seit 1976. Was vielleicht mehr an den Deutschen als an der kleinen Sonne liegt. Nicht in jedem Land
sind Bekenntnisse so beliebt. 'Wir haben schon im vergangenen Jahr gemerkt, dass die Nachfrage aus
Deutschland wieder größer wird', sagt Anne Lund. Sie registriert so etwas, denn ihre Sonne ist
längst patentiert, und die EU hat sie als Warenzeichen eingetragen - Nummer 004193091. Doch nicht
jeder darf sie nutzen. Umweltorganisationen zahlen einen symbolischen Betrag an eine dänische
Stiftung gegen Atomkraft, wenn sie Aufkleber oder Shirts mit Lunds Idee bedrucken wollen. Alle
Einnahmen müssen der Anti-Atom-Bewegung zugute kommen.
Und so hat die dänische Erfinderin persönlich nie etwas an ihrem Einfall verdient. Reich geworden
ist sie schon gar nicht. 'Das wollte ich auch nie', sagt Lund. Sie unterrichtet jetzt Management an
einer Fachhochschule in Aarhus, sie hat eine Familie, ein schönes Haus, ihre Tochter ist erwachsen.
Und diese Tochter ist dafür verantwortlich, dass Anne Lund keinen allzu sentimentalen Blick auf die
Vergangenheit werfen kann.
Denn es gab zwar eine Zeit, in der sie die Aufkleber, die sie überall in der Welt in die Hände
bekam, gesammelt hat. Das war sozusagen das nostalgische Archiv ihrer Idee. Aber an einem
Nachmittag in den 80er Jahren haben Anne Lunds Tochter und ein paar andere Kinder die Sammlung
zerstört. Obwohl zerstört vielleicht ein zu hartes Wort ist für das, was die Kinder taten. Sie
haben die Aufkleber auf alle Wände des Schlafzimmers verteilt. In einem Moment, als die Eltern
sich schon wunderten, warum die Kinder so ruhig sind. 'Es war einfach viel zu leise im Zimmer',
sagt Anne Lund. Und erinnert sich an den Moment, als sie sah, dass ihre Sammlung dahin war.
Aber eigentlich passt das zu Anne Lund. Sie, die einst das Symbol mit Wachsstift malte, ist nicht
immerzu darauf aus, mit Symbolen zu zeigen, was sie denkt. Auf ihrem Auto hat sie keinen
Anti-Atom-Aufkleber; sie sagt, ihr sei es wichtiger, dass der Wagen wenig Benzin verbrauche. Und
noch wichtiger ist ihr, dass sie ihn nicht allzu oft benutzt. 'Ich fahr" lieber mit dem Fahrrad.'
Und sie sieht in der Tatsache, dass in Dänemark nur noch wenige Sonnen-Aufkleber zu sehen sind,
auch etwas Gutes. Weil sie es in Dänemark ja schon vor langer Zeit geschafft haben, die Regierung
davon zu überzeugen, 'Nein danke' zu sagen.
In Dänemark wurde so die Idee aus dem Frühling 1975 Wirklichkeit. Aus einer Zeit, in der Anne Lund
Angst hatte und ein Argument suchte. In der sie sich nicht vorstellen konnte, dass ihre Sonne noch
mehr als drei Jahrzehnte später aufgehen würde. In der sie aber hoffte, sie könne verhindern, dass
sie untergeht. So wie jetzt in Fukushima, wo ein höfliches 'Nein danke' niemand hören wollte.
Jochen Arntz | Süddeutsche Zeitung Nr.65, Samstag, den 19. März 2011 , Seite 3
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