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SZ Streiflichter

In England gibt es eine alte Dame, deren Freundinnen bei Tee und Minzgebäck bisweilen irritierende Töne vernehmen. Ein tiefer, rollender Bass ertönt aus dem Nebenzimmer, als säße dort ein dicker Mann und stoße Verwünschungen aus, zum Beispiel: "Fuck the Naaaaazis". Anfangs glaubten die Ladies, Winston Churchill sei wiederauferstanden, bekanntlich ein großer Mann im Kriege wie im Fluchen. Doch als sie vorsichtig um die Ecke lugten, saß dort nur ein alter, leicht gerupfter Papagei auf seinem Käfig und grüßte die Teegesellschaft mit den Worten: Die Dame hatte "Charlie" übernommen, da mehrere Vorbesitzer wenig Gefallen an diesem Gebaren und der Neigung des Tiers gefunden hatten, auch in die liebevollsten Hände zu hacken. Seitdem streiten die Gelehrten: War Charlie wirklich einer jener Papageien, die der Gewaltige einst in seinem Arbeitszimmer mit Süßigkeiten und Schimpfwörtern fütterte? Churchill pflegte noch die schöne Sitte der gehobenen Stände, einen Papagei zu halten und dem gelehrigen Vogel Lebensweisheiten zur Nachahmung vorzusprechen. Heute ist der Papagei als Hausgenosse nur mehr selten zu finden. Das war einmal anders. Römer, Ritter, Edelmänner hielten die aus fernen Ländern herbeigeschafften Tiere als Statussymbole; der strenge Cato rügte gar, dass der erschlaffte Römer seinerTage lieber den Papagei auf der Hand führe als das Schwert in derselben. Nun ist Alex verblichen, der, im Besitz der Tierpsychologin Irene Pepperberg, der gescheiteste Papagei der Welt gewesen sein soll, weil er 100 Wörter und sieben Farben kannte. Ob und wie sehr Frau Pepperberg nachgeholfen hat, kann Alex nun nie mehr verraten. Geistesgröße muss man freilich auch Einstein aus Knoxville/Tennessee zugestehen, der Wölfe, Tiger und Pinguine nachahmt und im Takt von "Smoke on the water" umherhopst wie ein Altrocker. Sicher ist jedenfalls: Ein Papagei hat seinem Besitzer einiges zu sagen. Er bewahrt ihn zudem vor den Enttäuschungen, die andere Haustiere unausweichlich bereiten: das obsessive Ausleben sexueller Triebe (Kaninchen) Flucht und anschließende Skelettfunde im Sofa (Hamster), Heimtücke und Illoyalität (Katzen), Gerüche und mentale Begrenztheit (Hunde). Brehm erwähnt Jako aus Salzburg, der um 1830 Gäste mit der Stimme seines Herrn beschimpfte: "Spitzbub, du!", aber sogleich hinzufügte: "Verzeihen, Ihro Gnaden, ich hab` glaubt, Sie san a Vogel." Graupapageien wie Jako, Alex und Einstein sind das,was der moderne Mensch beim Tier sucht: ein Gegenüber. Und daheim in den Urwäldern? Da ahmt der Vogel höchstens noch das Kreischen der Baumsägen nach, das er dort hören muss. Erst wurde er aus der Natur gestohlen, jetzt stiehlt man ihm die Natur. Man ahnt, was Charlie dazu sagen würde.

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