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Liebe ist doch steuerbar

Seit es ihn gibt, fährt das Ehepaar Harper Mini. 50 Jahre sind das nun. Die ersten Modelle machten auch Kummer - mal regnete es rein, mal streikte der Motor. Trotzdem hat das Auto steile Karriere gemacht und Generationen bezaubert: als Gefährte für ungebremste Leidenschaft

Swynnerton - Wer weiß, wie Graham Harpers Leben verlaufen wäre, wenn ihn sein Chef damals nicht losgeschickt hätte, eines dieser komischen, neumodischen Autos zu überführen. Blutjung war er, noch keine zwanzig, aber Autos, die lagen ihm schon immer im Blut. Deshalb hatte der junge Graham es stets als Glücksfall betrachtet, in seiner Heimatstadt Stone in der mittelenglischen Grafschaft Staffordshire einen Job in einer Garage gefunden zu haben. Reparaturen und Neuverkäufe, alles machte man da, und deshalb war der junge Mann bestens mit allen Neuerscheinungen auf dem Automobilmarkt vertraut.
Nicht, dass es da so viel aufregende Entwicklungen gegeben hätte. Man schrieb das Jahr 1959, und coole Autos kamen eigentlich nur aus Amerika. In Großbritannien hießen die fahrbaren Untersätze Wolesley Oxford oder Hillman Minx, Austin Hereford, Riley Kestrel oder Standard Vanguard, und sie sahen auch so aus: Weder unter der Motorhaube noch am äußeren Design hatte sich wesentlich viel seit Vorkriegstagen geändert. Es waren langweilige Autos für langweilige ältere Semester in den langweiligen fünfziger Jahren.
Aber dann tauchte plötzlich dieser Winzling auf, und er veränderte nicht nur Graham Harpers Leben, sondern die Einstellung einer ganzen Generation von Briten und Europäern zum Autofahren. "Auf den ersten Blick sah der Mini ja nach nichts aus", erzählt Harper und rutscht ein wenig auf dem Wohnzimmersofa hin und her, als wäre ihm dieses Eingeständnis noch immer peinlich. "Aber er fiel aus dem Rahmen, wenn man ihn mit anderen Wagen verglich. Und er fuhr sich . . .", und bei diesen Worten verklärt sich sein Blick, derweil der 69-Jährige nach dem rechten Wort sucht, ". . . er fuhr sich einfach phantastisch."
Kaum dass Harper den Mini überführt und im Verkaufsraum seiner Firma geparkt hatte, nahm er einen Kredit auf, und kaufte sich selbst eines dieser neuartigen, frechen Autos. Das war im August 1959, und damit wurde der Mechaniker einer der ersten Briten, die sich einen Mini anschafften. 495 Pfund und 16 Schillinge kostete das Wägelchen (nach damaligem Kurs circa 5800 D-Mark), viel Geld, wenn man 13 Pfund in der Woche verdiente. "Aber er war das billigste Auto auf dem ganzen Markt", erinnert sich Harper. "Alle anderen kosteten mehr als 500 Pfund." Der Mini entwickelte sich zu einer der größten automobilen Erfolgsgeschichten des Jahrhunderts. Als am 4. Oktober 2000 im Werk Longbridge der letzte Mini vom Band rollte, waren 5,3 Millionen Stück produziert worden. In diesen gut vier Jahrzehnten gelang ihm, was ein Opel Astra oder ein Ford Focus nie erreichen werden: Er wurde zum Kultobjekt und Gegenstand irrationaler Liebe.
"Lieben musste man ihn wirklich", sagt Graham Harper mit schelmischem Lächeln. "Die ersten Modelle waren so schlecht konstruiert, da war ständig etwas kaputt. Streng genommen waren wir ersten Käufer Versuchskaninchen." Dennoch hat er Minis die Treue gehalten. "Ein anderer Wagen wäre mir nie in die Garage gekommen", sagt er. So an die 20 bis 25 Stück hätten er und seine Frau Jean im letzten halben Jahrhundert gefahren und geflickt, verherrlicht, verwünscht, und schließlich weiterverkauft. Sie sind Rennen gefahren mit ihren Minis, und Rallyes, wie Hunderte Trophäen beweisen. Der kleine Kasten mit den winzigen Rädern hat sie zum Einkaufen gekarrt und in den Urlaub gebracht.
Auch jetzt, da der Mini seinen 50. Geburtstag feiert, sind zwei Minis in der Garage der Harpers im Dörfchen Swynnerton geparkt: ein feuerroter Cooper S, zehn Jahre alt und einer der letzten seiner Art, die gebaut wurden, und ein Wolesley Hornet. Unter diesem Namen wurde von 1961 bis 1969 gleichsam die behäbige Limousinenversion des Mini gebaut - mit echtem Kofferraum, putzigen Heckflossen, verchromten Radkappen und knautschig-weichen Ledersitzen.
Ursprünglich war der Mini, so unwahrscheinlich das heute klingen mag, als Familienkutsche geplant. Außerdem sollte er die Antwort sein auf die Herausforderung durch kontinentaleuropäische Konkurrenz in Gestalt von VW Käfern, BMW Isettas, Renault Dauphines, Citroën 2CVs oder Fiats 500. "Bubble Cars" nannte Sir Leonard Lord diese Fahrzeuge wegen ihrer kugeligen Karosserien. Er war Vorsitzender der British Motor Corporation, einem Zusammenschluss der beiden alten Traditionsmarken Austin und Morris. "Gott verfluche diese verdammt hässlichen Blasenautos", tobte Sir Leonard beim Anblick ständig sinkender Verkaufszahlen von Fahrzeugen aus eigener Produktion. "Wir müssen sie von der Straße vertreiben, indem wir ein anständiges Miniaturauto entwerfen."
Den Auftrag erteilte er einem Mann, der schon lange auf eine solche Herausforderung gewartet hatte. Alec Issigonis entstammte einer griechischen Familie aus dem osmanischen Smyrna, hatte eine bayerische Mutter und eigenwillige Vorstellungen von Autos. Ein Radio etwa hielt er für ein "ablenkendes Haushaltsgerät", und eine weiche Federung war etwas für Weichlinge. Harte Stoßdämpfer, so beschied er einmal dem Rennfahrer und frühen Mini-Fan Stirling Moss, garantierten, dass der Fahrer am Steuer nicht einschlafe.
Issigonis, der in den dreißiger und vierziger Jahren selbst Autorennen gefahren war, hatte schon deshalb keine leichte Aufgabe, weil Sir Leonard ihm die Grundparameter vorgegeben hatte: Die Blechbox auf den Miniaturrädern durfte nicht größer sein als 3,0 mal 1,2 mal 1,2 Meter, und sollte dennoch vier Erwachsenen mit Gepäck Platz bieten. Dass ihm dieses Kunststück gelang, erfuhr eine staunende Öffentlichkeit bei der Vorstellung des ersten Wagens. Im gleißenden Licht der Scheinwerfer schälten sich fünf Erwachsene und ein Kind aus dem Wagen, gefolgt von zwei Hunden, Koffern, Golfschlägern, Picknickkörben, einem Kinderwagen und einem Fußball. "Zauberei auf Rädern", schwärmte ein Kritiker, und die Times staunte: "In ihm finden wirklich bequem vier Erwachsene Platz, auch mit Hut." Doch es dauerte lange, bis der Mini von der Kundschaft angenommen wurde. Das lag teils am ungewohnten Frontantrieb, teils am spartanischen Design: In der 59er Version des wahlweise als Morris Mini-Minor oder Austin Seven verkauften Autos prangte verloren ein kreisrunder Tacho in der Mitte eines ansonsten leeren Armaturenbretts. Zwei Kippschalter für Scheibenwischer und Scheinwerfer, ein Schalthebel und ein Lenkrad komplettierten die Innenausstattung. Starten ließ sich das Ding zur Not mit einem gewöhnlichen Hausschlüssel. Die Fenster öffnete man durch Schieben, die Türe schloss man mit einem Zug an einer Kordel.
Zu einer Zeit, da viele Briten nach den langen, kargen Nachkriegsjahren allmählich die süßen Früchte des Wohlstands zu schmecken begannen, wirkte der Mini wie ein Arme-Leute-Auto. Als ein Gefährt für Putzfrauen hatte sich Issigonis seine Schöpfung ja schließlich selbst vorgestellt, ein Auto, das auch "vom schlechtesten Fahrer der Welt gefahren werden kann". Am meisten schreckten potentielle Käufer freilich die Kinderkrankheiten des Neulings ab. "Überall kam Wasser herein, durch den Boden und durch den Grill", erzählt Graham Harper und streichelt dabei selbstvergessen seinem roten Mini über die Kühlerhaube. "Wenn man durch eine Pfütze fuhr, wurde der Verteiler nass und der Motor setzte aus. Dass Autos im Regen stehenblieben, das waren wir nicht gewöhnt." Zu anderen Problemen, mit denen der Mini seine Eigner überraschte, gehörten Risse im Auspuff, eine krachende Gangschaltung und Motoröl auf der Kupplungslamelle. Und dann war da noch Issigonis stahlharte Federung: Sie erzeugte in der Fahrgastzelle gefährliche Resonanz. "Aber man konnte ihm nie böse sein", fällt Jean Harper ihrem Mann bei der Aufzählung der Übelstände ins Wort. "Ein Mini ist wie ein Kind: Man vergibt ihm alles."
Der Absatz erhöhte sich erst, als man dem Neuling neue Kräfte verlieh. John Cooper, Besitzer des seinerzeit erfolgreichsten Formel-1-Rennstalls, überredete einen widerstrebenden Issigonis, den er aus alten Rennfahrertagen kannte, das Nutzfahrzeug für Putzfrauen und Hausfrauen ein wenig aufzupeppen. "Wir sollten ein paar von denen für die Jungs bauen", raunte Cooper Issigonis zu. "Du weißt schon, ein bisschen mehr Dampf." Die Rechnung ging auf, und der nunmehr 140 Stundenkilometer schnelle Flitzer wurde unter dem Namen Mini Cooper zum Symbol der Swinging Sixties. Das waren die Jahre, in denen sich das Vereinigte Königreich von Grund auf neu erfand: Vor allem junge Leute in aller Welt assoziierten das Land nicht länger mit Bowlerhüten in der Downing Street, sondern mit den Beatles und der Carnaby Street. "Man könnte sagen, dass der Mini zu einem Zeitpunkt auftauchte, zu dem die Planeten genau ausgerichtet waren, damit ein Kleinwagen von revolutionärem Design Erfolg haben konnte", urteilte der Design-Professor Dale Harrow vom Royal College of Art. "Zu Beginn der Sechziger herrschte ein Fieber in Großbritannien, ein Gefühl sozialer Aufwühlung. Die Populärkultur begann die Kunst, die Musik und Designerobjekte, einschließlich der Autos, einem Massenpublikum zuzutreiben. Und da kam der Mini. Sein Timing war perfekt." Plötzlich wollten alle Ikonen der neuen Zeit in und mit einem Mini gesehen werden: Twiggy und die Beatles fuhren einen Cooper, aber auch Prinzessin Margaret und Steve McQueen. Das Callgirl Christine Keeler wollte es mit dem Skandalminister John Profumo gar in einem Mini getrieben haben. Viermal hintereinander gewann das Wägelchen die Rallye Monte Carlo, und mit Michael Caine und dem Kultfilm "The Italian Job" gelangte es zu Leinwandruhm.
Und noch ein anderer Mini verdankt seinen Namen dem fahrbaren Untersatz: Die Modeschöpferin Mary Quant ließ sich von ihm inspirieren, als sie nach einer Beschreibung für den von ihr erfundenen kurzen Rock suchte: "Der Mini war schnell, schlicht, schick, leicht zu parken und zu fahren", erzählte sie später. "Mädchen liebten ihn . . ., er sah nicht aus wie der Wagen deines Vaters oder der deines Mannes. Er war süß, liebenswert, jung und sexy, und er war deiner." Jung und sexy kamen sich aber nicht nur Girls im Minirock im Minifahrzeug vor. Das Gefühl, mit dem Hosenboden nur wenige Zentimeter über dem Asphalt schwebend mit annähernd 100 Meilen in der Stunde über die Landstraßen zu rutschen, befreite, ja enthemmte auch so manchen Herren fortgeschrittenen Alters. Jeder fühlte sich im Mini flott, ein Umstand, der bald der Polizei nicht verborgen blieb. Das Fahrzeug, so grummelten immer mehr britische Polizeichefs, fördere rücksichtsloses Fahrverhalten.
Sie konnten der Begeisterung freilich keinen Abbruch tun; den Todesstoß versetzte dem Mini vielmehr ein Sauertopf aus Amerika. Die Verkehrssicherheitskampagne des US-Verbraucherschützers Ralph Nader beraubte den Kleinwagen rasch seines wichtigsten Exportmarktes. Knautschzonen und Aufprallschutzvorrichtungen und was sonst noch alles in den USA und zunehmend in Europa zur Auflage gemacht wurde, ließ sich in einen Mini nachträglich immer schwieriger einbauen. Zudem hatte die British Motor Corporation abgewirtschaftet, wozu nicht unwesentlich das erfolgreichste Produkt der Firma beigetragen hatte: Konkurrent Ford hatte errechnet, dass das Unternehmen mit jedem verkauften Mini 30 Pfund Verlust machte.
Die neuen Besitzer, das Staatsunternehmen British Leyland, produzierten den Mini in einem ähnlichen Geist, in dem im kommunistischen Osten Moskwitschs und Trabants gefertigt wurden: phantasielos, lieblos, schlampig, gleichgültig. Nur der bedingungslosen Liebe, die ihm seine Anhänger entgegenbrachten, war es zu verdanken, dass der Mini dennoch immer weiter vom Band rollte. Das Glück wollte es, dass der Retter der Traditionsmarke selbst ein Liebhaber war: BMW-Chef Bernd Pischetsrieder, weitläufig mit Mini-Vater Issigonis verwandt und von ihm als Teenager durch Longbridge geführt, erkannte nicht nur den unternehmerischen Wert einer globalen Marke mit hohem Sympathiewert; als leidenschaftlicher Autonarr und bekennender Sentimentalist war er auch persönlich dem kleinen Briten verfallen.
So kam es, dass fünf Tage vor dem Ende des alten Mini auf dem Pariser Autosalon der erste neue MINI vorgestellt wurde. Ihn schrieb man in Großbuchstaben, worin nicht nur Jean Harper einen tieferen Sinn erblickt. "Es ist schon alles in Ordnung mit dem MINI", gesteht sie zu, "ist ja ein ordentliches Auto, aber halt ein ernstes Auto, ein deutsches Auto, kein schräges britisches." Versonnen vergleicht sie den roten Cooper ihres Mannes und den silbergrauen Nachfolger aus dem Hause BMW, die nebeneinander vor der Haustür stehen - hier der massige Bayer, der sein voluminöses Hinterteil auf einer Biergartenbank geparkt hat, dort der schmächtige englische Jockey beim Grand National. Jean schüttelt den Kopf. "Nein, ein Mini ist das nicht. Eher ein Maxi."

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.184, Mittwoch, den 12. August 2009 , Seite 3

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